Wolfenbüttel. Täglich fließt eine große Menge Wasser in das marode Bergwerk. Doch plötzlich bahnt es sich ganz neue Wege. Darauf kommt es jetzt an.

In das alte marode Bergwerk Asse dringt schon seit Jahrzehnten Wasser ein. Damit besteht die Gefahr des Absaufens. Davor warnte der Betreiber der Asse, die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE), immer wieder. Jetzt wird dieses Szenario auf einmal konkreter denn je.

Mit „Absaufen“ bezeichnen Bergleute eine Situation, in der so viel Wasser in ein Bergwerk eindringt, dass man darin nicht mehr sicher arbeiten kann. Sie müssen das Bergwerk aufgeben. So weit ist es bei der Asse noch längst nicht. Doch was die BGE derzeit umtreibt, ist auch nicht zu unterschätzen. Das Wasser, das jeden Tag ins alte Bergwerk eindringt, sucht sich plötzlich ganz neue Wege. Das Problem: Es landet so nicht mehr in der eigens errichteten zentralen Auffangstelle.

So viel Wasser sammelt die BGE an der zentralen Auffangstelle ein.
So viel Wasser sammelt die BGE an der zentralen Auffangstelle ein. © FMN | Jürgen Runo

Durch Risse im umliegenden Gestein und im Salz dringen täglich zwischen 12 und 13 Kubikmetern Lösung pro Tag in das Bergwerk ein. Das war in den letzten Jahren ziemlich konstant so. Das entspricht in etwa 50 Badewannen voll. Die BGE geht davon aus, dass weiterhin mehr als 12 Kubikmeter Lauge in das Bergwerk eindringen – obwohl nicht mehr alles in der zentralen Auffangstelle landet. Laut BGE kamen am Donnerstag nur noch 6,3 Kubikmeter dort an. Seit März sucht sich das Wasser verstärkt einen anderen Weg.

BGE-Chefin Graffunder über den Zustand des Atommüll-Lagers Asse: „Wir sind alarmiert“

Wie sich der Zutritt entwickelt, konnten selbst die BGE-Fachleute nicht vorhersagen. Auch das hat die BGE immer so kommuniziert. Das ist zwar offen und transparent, macht das Problem aber nicht kleiner. Der Zutritt des Wassers kann sich jederzeit so verändern, dass ein sicherer Betrieb des Bergwerks nicht mehr möglich ist. Auch hier hat die BGE immer mit offenen Karten gespielt. Die Rückholung müsste in dem Fall dann sogar abgebrochen werden. Auch hiervon ist die BGE noch entfernt.

Doch die BGE-Chefin Iris Graffunder machte keinen Hehl daraus, dass die Lage „beunruhigend“ ist, wie sie unserer Zeitung sagte. „Es ist nicht vollkommen planbar, wie sich der Berg entwickelt. Durch diese starke Veränderung des Wasserzutritts sind wir alarmiert“, erklärte Graffunder. „Die Hauptauffangstelle dient ja dazu, dass das Wasser nicht irgendwo im Berg verschwindet“, sagte sie. Die BGE-Chefin warnte: „Im schlimmsten Fall läuft es in die Einlagerungskammern mit den radioaktiven Abfällen.“

Die Ursachen und Hintergründe für den Wasserzufluss sind bekannt. Sie könnten jetzt aber zu einem noch viel größeren Problem werden: Durch den intensiven Salzabbau schufen Bergleute über Jahrzehnte, insbesondere am südlichen Rand des Bergwerks, auf engstem Raum viele Hohlräume. Diese Hohlräume sind dauerhaft dem Druck des Bergs ausgesetzt und werden langsam aber stetig zusammengedrückt. Durch die Bewegung des Gebirges entstehen Risse, die das Eindringen des Wassers in das Bergwerk ermöglichen. Erschwerend kommt jetzt eben hinzu, dass sich der Wasserzufluss nicht mehr kontrollieren lässt. Die BGE weiß derzeit nicht, wo es versickert.

Wohin fließt das Wasser in das Asse-Bergwerk? Die BGE muss schnell die Ursache finden

Der Wasseranfall im Bergwerk ist übrigens unabhängig von der Regenmenge über Tage, weil das Wasser zunächst für sehr lange Zeiträume im Gestein unterwegs ist, bevor es in das Bergwerk eindringt. In Zeiten, in denen es mehr regnet, fängt die BGE also nicht mehr Wasser unter Tage auf als sonst. Und doch sprach BGE-Chefin Graffunder von einer „Dringlichkeit“. Das heißt, die Zeit läuft.

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Die Fachleute sind längst dabei, Ursachenforschung zu betreiben. Doch das Bergwerk ist immer noch undurchschaubar. In 13 Kammern liegen in Hunderten Metern Tiefe rund 126.000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen. Der Koordinator der Landesregierung zur Rückholung, Andreas Sikorski, hatte bereits 2021 gegenüber unserer Zeitung schnelles Handeln angemahnt. Trotz schwieriger Rahmenbedingungen gelte: „Der Müll muss aber raus, denn kein Mensch weiß, wie lange die Asse noch stabil bleibt“, sagte Sikorski. Doch so etwas wie in der Asse ist weltweit einmalig. So schnell ist die BGE nicht. Ab 2033 soll der erste Atommüll aus der Asse geborgen werden. Das kostet bis dahin schon weit mehr als drei Milliarden Euro.

BGE-Chefin Graffunder vermochte nicht zu sagen, wie lange die Ursachenforschung für den stark veränderten Wasserzufluss dauert. Sie erklärte: „Wir haben eine Folie in der Hauptauffangstelle, die wir untersuchen. Das Problem ist: Darauf liegen Tonnen von Geröll. Die müssen wir wegräumen, um die Folie zu inspizieren und Rückschlüsse ziehen zu können. Oder wir graben uns drunter durch und schauen von unten.“

Schlimmstenfalls dringt das Wasser in die Asse-Kammern mit dem Atommüll

Die Probleme sind vielfältig. Auch hier gab Graffunder Aufschluss: „Schlimmstenfalls dringt das Wasser in die Einlagerungskammern ein. Ein Zeichen dafür könnte dann sein, dass wir auf der 750-Meter-Ebene radioaktive Flüssigkeit messen. Das haben wir jetzt aber noch nicht. Es kann sich im Folienbereich auch irgendwo ein Reservoir gebildet haben, das dann irgendwann überschwappt. Auch das wissen wir noch nicht.“

Für Heike Wiegel vom Verein „Aufpassen“ kommen diese Probleme nicht überraschend. Wissenschaftler der Asse-Begleitgruppe, in der sich unter anderem Kommunalpolitiker engagieren, hätten längst davor gewarnt, die Tunnel vor den Kammern, in der der Atommüll lagert, zu verfüllen. Das hat die BGE gemacht, um das Bergwerk zu stabilisieren. Das könnte der BGE jetzt vor die Füße fallen: „Jetzt kommt man nicht mehr überall heran“, so Wiegel. Auch sie ist „besorgt“, wie sie sagte. Und mit Blick auf die Rückholung des Atommülls sagte sie: „Das zeigt, dass es noch längst nicht geschafft ist.“