Berlin. In der interessanten Runde bei Markus Lanz vertritt nur eine die bequeme Diskriminierungstheorie, daneben gab es spannende Einsichten.

Es war eine der spannendsten Runden bei Markus Lanz in den vergangenen Wochen: Vier Muslime – Religionsexperten, Juristen, Extremismusforscher debattieren über die Frage der zunehmenden Entfremdung zwischen Muslimen in Deutschland und der Gesellschaft, in der sie leben. Woher rührt das? Wie und wer kann daran etwas ändern?

Auffällig: Die Publizistin Khola Maryam Hübsch verfiel als einzige in der hochinteressanten Runde in die üblichen vereinfachenden Reflexe, die für wachsende Distanz immer wieder den sogenannten anti-islamischen Rassismus verantwortlich machen. Niemand in der Runde leugnete, dass beinahe jeder Mensch mit migrantischem Hintergrund im deutschen Alltag Rassismus erfahren hat. Als Erklärungsmuster für um sich greifenden Judenhass sowie Abgrenzung von Demokratie und westlichen Werten unter Muslimen ist der Opfer-Mythos allerdings eine allzu bequeme Schuldzuweisung an die Mehrheitsgesellschaft. Das wird oft wiederholt – ist aber deswegen noch längst nicht wahr.

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Markus Lanz: Das waren die Gäste der Sendung

  • Khola Maryam Hübsch, Publizistin: Musliminin, die sich in der Ahmadiyya-Gemeinschaft engagiert
  • Ahmad Mansour, Extremismusforscher: .
  • Murat Kayman, Jurist, früher in der Ditib engagiert.
  • Mouhanad Khorchide, Theologe und Professor an der Uni Münster.

Murat Kayman, Khorchide und Mansour sahen es deutlich differenzierter und nahmen in der Debatte auch Narrative und Wertesysteme innerhalb muslimisch geprägter Schichten unter die Lupe, die die Entfremdung als Wesenszweck brauchen. So kritisierte Murat Kayman islamische Glaubensverbände, die die Erzählung verbreiten und von ihr leben, „dass Muslimisch-Sein in Deutschland nur dann funktioniert, wenn man sich gegen diese Gesellschaft positioniert“.

Kayman arbeitete drei Jahre lang als Justitiar für den größten deutschen Islamverband DITIB, bevor er 2017 ausstieg. DITIB steht immer wieder wegen seiner Abhängigkeit von der türkischen Regierung und fehlender Distanzierung von radikalen Islamisten in der Kritik. Das Problem gehe laut Kayman aber weit über deutsche Islamverbände hinaus.

Der Glaube suggeriert moralische Überlegenheit – und wertet das Gegenüber ab

Glaube funktioniere dann, so Kayman, wie ein Identitäts-Container, der Abschottung ermöglicht und eine moralische Überlegenheit gegenüber den anderen suggeriert, was natürlich bedeute, dass das Gegenüber abgewertet wird.

Es gehe ganz zentral um Abgrenzung. Extremismusforscher Mansour erklärt dazu vertiefend: Der politische Islam beziehe sich immer wieder auf die Geschichte der Kreuzzüge. Das Narrativ sei: Nun schlage der Islam zurück. Es gibt kein positives Bild des Miteinanders. Gemäß dieser Logik richtet sich die Glaubensgemeinschaft immer gegen die westliche Welt. Der Satz: Der Islam gehöre zu Deutschland, wäre in der Schlussfolgerung naives Wunschdenken.

Es gibt keine positive Erzählung über ein positives Miteinander

Es gebe auch keine positive Erzählung, wie eine Koexistenz mit Israel aus muslimischer Sicht aussehen kann, sondern es gibt immer wieder die Wiederholung, Jerusalem und das Palästinensergebiet solle von Juden „befreit“ werden. Was deren Vernichtung voraussetzen würde.

Mouhanad Khorchide merkte an: „Ich vermisse einen innermuslimischen Dialog, gesunden Streit.“ Fordere man selbstkritisch ein „innermuslimisches Nachschrauben“ am herrschenden Antisemitismus, an der Diskriminierung von Frauen oder anderen diskussionswürdigen Punkten, kritisiere die muslimische Gemeinschaft wiederum, dass dies der Einheit schade. „Lieber reden wir nicht über problematische Zonen, innerislamisch, nur mit der Konsequenz: Wir überlassen ein Vakuum“, das dann von Extremisten besetzt werde.

Das geschehe zum Teil auch mit den pro-palästinensischen Protesten. Khorchide sprach von einer „stellvertretenden Debatte“. Es gehe bei diesen Demonstrationen „nicht um Nahost, sondern um uns hier“. Khorchide habe mit jungen Demonstranten gesprochen: „Die wussten nicht einmal, wo Palästina ist. Sie wussten nichts über die Geschichte. Die wussten nicht einmal, wofür oder wogegen sie demonstrieren.“ Ähnliches habe er erlebt, wenn für ein Kalifat und die Regeln der Scharia geworben wurde. Wenn Khorchide Demonstranten frage, was beides bedeute, sei die Antwort: „Keine Ahnung. Aber wichtig für mich ist etwas Eigenes.“

Rückzug auf die Opferrolle führt zu Verweigerung über eigene Defizite

Ursachen für das Demonstrieren seien subjektiv empfundene Kränkungen sowie „Identitätssuche und Identitätsfindung in der Religion“ – als Abgrenzung von der Mehrheitsgesellschaft.

Extremismusforscher Ahmad Mansour warf die Frage auf: „Ist das ein Fehler der Mehrheitsgesellschaft? Oder ist das ein Problem bei uns?“ Die empfundene Kränkung habe mit der Art und Weise zu tun, „wie wir groß geworden sind“, wie man zum Beispiel in der arabischen Welt die westlichen Demokratien seit Jahrzehnten als überlegen erlebt hat. Aber, betonte Kayman, der Rückzug auf die Opferrolle im Zusammenhang mit sogenanntem „anti-islamischen Rassismus“ führe dazu, dass innermuslimische Debatten um eigenen Rassismus (gegenüber Juden) und Diskriminierung (gegenüber Schwulen und Lesben) unterblieben. Die müssen aber geführt werden, um den Glauben von den Extremisten wieder zurückzuerobern.

Hier können Sie die Sendung in der Mediathek sehen.