Herzberg. Am 8. März ist Internationaler Frauentag. Ist er überhaupt noch notwendig?

Am Sonntag, 8. März, ist Internationaler Frauentag. Kirsten Buchwald sprach mit Christa Hartz, Ratsmitglied und Kreistagsmitglied für die SPD, Ingeborg Teuteberg, Ehrenbürgerin der Stadt Herzberg, Lena Schaumann von der Zukunftswerkstatt Herzberg sowie mit Inge Holzigel, Barbara Hindemith und Angelika Kiep – alle Gleichstellungsbeauftragte – über den Sinn des Tages und seine Aktualität.

Ist der Frauentag noch notwendig?

Angelika Kiep: Ja, um das Bewusstsein zu schärfen, da Parität noch nicht realisiert ist. Im Vergleich der Länderparlamente sitzen im Deutschen Bundestag 31 Prozent Frauen. In Ruanda sind es 61 Prozent. Auch in den nordischen Ländern sowie Frankreich und Spanien sind prozentual mehr Frauen in den Parlamenten vertreten. Im Niedersächsischen Landtag beträgt der Frauenanteil 30 Prozent, davon sind die Grünen mit 58 Prozent, die SPD mit 37, die FDP mit 27, die CDU mit 18 und die AfD mit elf Prozent Frauenanteil vertreten.

Wieso gibt es so wenige Frauen in der Politik? Interessieren sie sich nicht für diese Themen?

Christa Hartz: Doch. Es fehlt ihnen jedoch an Selbstbewusstsein.

Inge Holzigel: Wenn ich gewählt werde, habe ich eine hohe Verantwortung.

Christa Hartz: Man muss dicke Bretter bohren.

Inge Holzigel: Frauen müssen sich mehr durchsetzen.

Christa Hartz: Frau muss viel aushalten können, auch Niederlagen.

Inge Holzigel: Die Frauen müssen stärker die Initiative ergreifen. Es geht auch um Rollenbilder. Die Frau muss ja schnell nach Hause zu den Kindern. Frauen leisten die meiste Erziehungsarbeit.

Barbara Hindemith: Das liegt an der beruflichen Position der Frauen und Männer. Bleibt ein Mann länger zuhause, muss die Familie finanzielle Einbußen hinnehmen. Und: Frauen wollen nicht nur Quotenfrauen sein.

Angelika Kiep: 2015 gab es in Verwaltungsspitzen des öffentlichen Dienstes in Niedersachsen 4,3 Prozent Frauen, Platz 15 der Bundesländer. Hier rangieren die neuen Bundesländer weit vorn, zum Beispiel Mecklenburg-Vorpommern mit 37 Prozent Frauen in der Führungsspitze.

Lena Schaumann: Frauen im Osten hatten und haben weniger ein schlechtes Gewissen, nach der Geburt zu arbeiten.

Sind Frauen selbst schuld?

Angelika Kiep: Das ist ein kulturelles und gesellschaftliches Problem, dass durch rechtliche und ökonomische Faktoren aber auch von Mentalitäten bestimmt wird.

Lena Schaumann: In der DDR wollte man die Gleichstellung von Frauen und Männern erreichen.

Angelika Kiep: Es gab dort viel früher Kinderkrippen, die selbstverständlich in Anspruch genommen wurden, in den alten Bundesländern hingegen wird unterstellt, dass die Frau für die Kinderversorgung zuständig ist.

Christa Hartz: Für Frauen passiert nur was, Frauen werden nur gebraucht, wenn es sich wirtschaftlich rechnet. Siehe Fachkräftemangel. Es geht nicht darum, den Frauen einen Gefallen zu tun.

Inge Holzigel: Das stimmt. Frauen werden genommen, wenn es ohne sie nicht geht.

Ingeborg Teuteberg: Früher war die Aufteilung klar: Frauen waren für den Haushalt und die Kinder da. Ich wollte nach der Geburt der Kinder wieder arbeiten, konnte mich aber nicht durchsetzen. Das bereue ich bis heute.

Lena Schaumann: Ich bin froh, dass sich das bei den Flüchtlingen schnell geändert hat. Die Kinder können in die Kita oder Schule gehen, die Frauen können an Deutschkursen teilnehmen. Das ist für die Gleichberechtigung wichtig.

Inge Holzigel: Unter den Asylsuchenden ist es so: Die Frauen bleiben zuhause, der Mann geht raus und lernt deutsch. Frauen haben keine Möglichkeiten.

Lena Schaumann: Da hat ein Umdenken begonnen, doch das ist ein Prozess.

Christa Hartz: Das hat zu tun mit dem Bild von Mann und Frau in anderen Kulturen.

Inge Holzigel: Gleichberechtigung gibt es ja noch nicht mal unter Deutschen.

Angelika Kiep: Wir kämpfen seit 1911 darum. Aber es gibt Fortschritte.

Frau Teuteberg, Sie könnten doch stolz sein auf die Frauen.

Ingeborg Teuteberg: Ja, für Frauen ist es leichter. Wir haben früher nicht so viel Rückhalt gehabt.

Angelika Kiep: Frauen sollten sich zusammentun. Deshalb gibt es die Veranstaltungen für die Frauen. Das ist ein tolles Gefühl der Zusammengehörigkeit.

Christa Hartz: Es gibt ein Ehegesetz, Frauenbeauftragte, Kinderbetreuung schon für die Kleinsten, die Pille, Frauen in Führungspositionen, Frauenhäuser, häusliche Gewalt steht unter Strafe, es gibt Elternzeit und Elterngeld und die Aktion „Nein heißt Nein“. Gewalt in der Ehe gibt es noch – aber das wird anders bewertet.

Inge Holzigel: Als wir vor 25 Jahren das Frauenhaus eröffnen wollten, haben wir alle Kommunen besucht.

Barbara Hindemith: In Walkenried sprach mich eine ältere Dame an und sagte: Das brauchen wir nicht. Hier wird niemand geschlagen. Diese Sichtweise hat sich geändert.

Christa Hartz: Diese Änderungen sind in Gesetz gegossen worden.

Inge Holzigel: Es machen viel mehr Mädchen als Jungen Abitur. Aber wo sind die in den Führungspositionen?

Was könnte helfen?

Inge Holzigel: Die Quote.

Christa Hartz: Die Frauen sollten sich frei machen vom negativen Image der Quotenfrau. Das ist nichts schlechtes.

Angelika Kiep: Im Bereich Pflege, Kinderbetreuung – da gibt es die Frauen. Das liegt an der Bezahlung. Und die ist auch eine Bewertung.

Christa Hartz: Die Tätigkeiten von Frauen in der Familie werden nicht anerkannt. Familienarbeit, Hausarbeit als Reproduktionsarbeit – das wird nicht für wertvoll erachtet.

Müssen wir uns doch Sorgen machen?

Inge Holzigel: Nein. Aber es ist noch viel zu tun.

Christa Hartz: Frauen müssen aktiver werden. Sie müssen das Erreichte verteidigen und weiter entwickeln.

Inge Holzigel: Frauen leisten aber schon viel.

Christa Hartz: Es könnte Gleichheit (Parität) auf den Wahllisten geben.

Angelika Kiep: Mädchen werden offener. Es müssen mehr jüngere Menschen in die Politik, damit sich das Bild ändert. Die Mandate und die Besetzung von Parteigremien auf Stadt-, Kreis-, Land- bis Bundesebene sollten die Bevölkerung widerspiegeln. Geschlecht und Alter sollten im Gleichgewicht sein. Damit würde sich auch der Blick auf vieles verändern.