Osterode. Seuchenzüge im Mittelalter: Die Pest forderte in den Städten unserer Region Tausende von Opfern. Ein Vergleich zu Heute.

Es sind schwierige Zeiten, in denen wir uns heute bewegen, die Coronapandemie zeigt uns derzeit, dass wir doch nicht alles im Griff haben trotz aller Wissenschaft und allen Fortschritts. Allerdings: Heute kennen wir mit dem Virus den gefährlichen Gegner, können mit gesteigerter Hygiene reagieren und auf eine gut aufgestellte medizinische Versorgung bauen. Das war nicht immer so.

Seuchen ein ständiger Begleiter

Seuchenzüge begleiten schon immer die Geschichte der Menschen, durch unsauberes Wasser, mangelnde Hygiene und Unwissenheit verbreiteten sich ansteckende Krankheiten vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert sehr schnell. Reisende, Soldaten, Kaufleute, Pilger und fahrendes Volk trugen die Krankheiten nach ganz Europa. Viel anders ist es auch heute nicht.

Der Schwarze Tod, die Pest, ist zum Synonym heillos wütender Seuchen geworden, er traf die Menschen in tiefer Unkenntnis der Ursachen, tief verwurzelt in Aberglauben. Die Pest, veraltet auch Pestilenz (lateinisch pestilentia), ist eine hochgradig ansteckende Infektionskrankheit, die durch das Bakterium Yersinia pestis ausgelöst wird.

Tausende Osteroder starben

In Osterode tauchte die Pest von 1348 bis 1454 immer wieder auf. Im Jahr 1484 starben hunderte Osteroder. Besonders im Dreißigjährigen Krieg schleppten Soldaten die Seuche erneut in die Stadt. Seit dem 6. September 1625 wütete die Krankheit verheerend in Osterode und ganz Südniedersachsen. In Osterode starben zwischen 1.300 und 1.500 Menschen in nur einem Jahr, das war etwa ein Drittel der Bevölkerung. Nach heutiger Einwohnerzahl wären das 7.000 Menschen. Allerdings war die Stadt damals auch voller Fremder, die sich vor dem Schlachtengetümmel des Dreißigjährigen Krieges hinter die sieben Meter hohen Stadtmauern, einen Ring aus Dornenbüschen und Wassergraben gerettet hatten, was zumindest einen gewissen Schutz bot.

1597 raffte der Schwarze Tod 2.000 Bürger Göttingens dahin, etwa die Hälfte der Einwohner. Die gleiche Zahl starb dort bei der Pest im Jahr 1626. Im Juli kam die Krankheit in Clausthal an, bis Jahresende kostete sie 1.350 Menschen das Leben. In St. Andreasberg waren es 700 Opfer, in Einbeck gar 3.000. Erst nach einer sechswöchigen totalen Quarantäne über alle Gesunden konnte man am 2. Mai 1683 in Duderstadt mit einem Dankgottesdienst das Ende der Pest feiern – und die Stadt atmete endlich auf. Mehr als 500 Menschen waren dort der Lungen- und der Beulenpest binnen zwölf Monaten zum Opfer gefallen.

Historische Aufzeichnungen für Osterode aus der Zeit sind rar, vernichtet in den großen Stadtbränden. Aber Beschreibungen der Horrorszenarien, wenn Menschen wie die Fliegen dahingerafft wurden, liegen aus anderen Städten reichlich vor, und so mag man sich das Geschehen auch in Osterode vorstellen: stinkende Leichen, Todesangst der Menschen bis hin zum Fatalismus, Hunger und Not, versiegelte Häuser, Leerstand, und ein darniederliegendes öffentliches Leben mit dem völligen Verfall der Sitten. Der Druck auf die ausgeplünderte Landbevölkerung war auch durch die marodierenden Söldner immens, und so bildeten sich aus der Not heraus im Solling Räuberbanden. 1626 schlossen sich Bauern zu den Harzschützen zusammen, beginnend vermutlich in Bad Harzburg. Raubzüge sollen sie bis in das heutige Bad Lauterberg geführt haben. St. Andreasberg wurde am 11. Mai überfallen und musste in der Folgezeit durch Militär geschützt werden. Hans von Eisdorf war einer der Anführer, der später hingerichtet wurde. Heinrich Wendt, von 1647 bis 1683 Bürgermeister von Osterode, berichtet: „Umb diese Zeit hatten sich ein Hauffen HartzBauren und andere Schnaphanen Zusammenrottieret, darüber vornehmlich Hanß Warnecken von Aistorff commendirte, Welcher hernacher Zum Schartzfeld in 4 Theile gelegt Und vor Osteroda an dreyen Ohrten uffgehänget, das Vierte Viertel ist Zum Schartzfeld gelaßen.“

Symptome der Pest

Die Krankheit: Nach einigen Tage künden zunächst Fieber, Kopf- und Gliederschmerzen von der Infektion, dann bilden sich Beulen an den Lymphknoten. Diese Beulenpest ist die häufigste Erscheinungsform der Seuche. Brechen die Knoten im Körper auf, gelangt der Erreger direkt in die Blutbahn und erzeugt eine tödliche Sepsis. Besiedelt er die Lunge, verursacht er die Lungenpest.

Diese breitet sich wie Corona durch Tröpfcheninfektion aus und führte entgegen der heutigen Viruserkrankung stets zum Tode, während an der Beulenpest Erkrankte zumindest eine geringe Überlebenschance hatten.

Verfall der Sitten

Die Pest zerstörte die sozialen Bindungen und moralische Werte in der Gesellschaft. Menschen starben auf offener Straße oder in stickigen Kammern, aus denen bestialischer Gestank vom Wirken der Seuche zeugte. Hauseingänge wurden mit Bohlen vernagelt, um Kranken den Ausgang zu verwehren und Häuser mit aufgemalten Kreuzen, teils auf Papier oder Stoff, gekennzeichnet. Die Toten wurden schließlich auf Karren abtransportiert und in riesigen Gruben gestapelt und verscharrt. Auch in Osterode soll es solch einen Pestfriedhof gegeben haben, ganz in der Nähe des heutigen Friedhofs unter der Burg.

Zu schützen suchten sich die Ärzte unter anderem mit üble Ausdünstungen neutralisierenden Masken, welche den Gestank mit dem Wohlgeruch in Form von heilenden Kräutern im Inneren überlagerten. Die markante Maske mit einem langen schnabelförmigen Vorbau musste lediglich jegliche Fremdluft ausschließen und dafür sorgen, dass genug Atemluft durch das Kräuterpaket in das Innere gezogen wurde. Entgegen der heutigen Schutzmasken, die vor viralen Ansteckungen durchaus Schutz bieten, halfen die damaligen Arztmasken natürlich nicht, denn dem Ungeziefer, das im damaligen Lebensumfeld mit Schmutz und Unrat einen fruchtbaren Nährboden fand, war das Outfit ihrer Opfer egal. Durch Ratten und andere Nagetiere übertrug sich das Bakterium auf Flöhe und die bissen die Menschen. Dass es auch der Medizin Kundige wie jeden anderen Bürger erwischen konnte, musste der Osteroder Ratsapotheker Conradi schmerzhaft lernen, auch er fiel der Seuche zum Opfer.

Schuldige wurden gesucht

Weil die Krankheit so unberechenbar war, wurden besondere Schuldige gesucht. Das Mittelalter fand die Ursache in Kometen, in Gottes Zorn und den Juden als Brunnenvergifter. In Pogromen wurden über Jahrhunderte immer wieder ganze jüdische Gemeinden hingemordet, nicht zuletzt gesteuert, um in deren Besitz zu gelangen und sie später weder anzusiedeln. Im damaligen Fürstentum Grubenhagen durften Menschen jüdischen Glaubens lediglich durchziehen, sich aber nicht niederlassen. Schon im Jahr 1553 hatte Herzog Ernst II die Vertreibung aller Juden angeordnet. Chronist Heinrich Wendt formulierte in seiner 1680 abgeschlossenen Chronik deutlich seine Abneigung gegen sie als „schädliches Volk“. Erst in der zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts siedelten sich Juden im Langen Krummen Bruch wieder an und später verstreut in der ganzen Stadt

Leprakranke weggesperrt

Es war nicht nur die Pest, die den Menschen in großem Maße zusetzte. Im 11. und 12. Jahrhundert brachten Kreuzfahrer die in Arabien sehr verbreitete Lepra nach Europa, die man hier Aussatz nannte. Da die Krankheit sehr langsam verläuft, erst nach Jahren zum Tode führt und den Erkrankten stark entstellt, sperrte man die Betroffenen in abgelegene Häuser, um eine Ansteckung und den erschreckenden Anblick zu vermeiden. In sogenannten Siechenhäusern, außerhalb der Stadtmauern, wurden Kranke und Pflegebedürftige von frommen Menschen versorgt und seelsorgerisch betreut bis zu ihrem Tod. Finanziert wurde das in Osterode von den Kirchengemeinden St. Jacobi und St. Ägidien und aus Spenden der Osteroder Bevölkerung. Das Osteroder Siechenhaus St. Eobaldi steht seit dem 14. Jahrhundert auf einem Hügel unterhalb des Röddenbergs. Bis ins 20. Jahrhundert wurden dort von evangelischen Schwestern alte und kranke Menschen gepflegt, seit dem 19. Jahrhundert in einem schmucklosen Fachwerkbau.

Blattern und Cholera

Im 18. Jahrhundert befielen die als „Blattern“ bezeichneten Pocken besonders die Osteroder Kinder. Durchschnittlich starben zehn Prozent vor dem 10. Lebensjahr daran. Die es überlebten waren oft ein Leben lang entstellt durch Pockennarben im Gesicht. Auch Erwachsene erkrankten daran, überlebten die Krankheit aber häufiger. Besonders während des Siebenjährigen Krieges (1756 bis 1763) starben viele Kinder in dieser Region. Erst nach dem zweiten Weltkrieg entwickelte man einen wirksamen Impfschutz. Durch verunreinigtes Trinkwasser und Bakterien im Abwasser wurden Ruhr, Cholera und Typhus übertragen. 1850 erkrankten 319 Osteroder an der Cholera, 72 starben. Die Krankheit wütete aber besonders im Eichsfeld. Noch im Jahr 1907 kam auch die Ruhr nach Osterode.

Schätzungsweise ein Drittel der europäischen Bevölkerung starb zwischen 1347 und 1353 an der Pest. Zuverlässige Opferzahlen gibt es nicht, die Schätzungen schwanken zwischen 20 und 50 Millionen Toten. Auf einem genuesischen Schiff soll der Schwarze Tod 1347 nach Europa gekommen sein. Eine neue Genom-Studie liefert eine Antwort darauf, was die Seuche aus Asien nach Europa getrieben haben könnte: der lukrative Handel mit Pelzen.

Sicher: Einen Vergleich zur derzeitigen Coronapandemie wäre in vielerlei Hinsicht nicht stimmig, auch wenn in Pestzeiten versucht wurde wie heute, Abstand zu bewahren. Rezepte und Medizin wurden in Osterode damals über Kästen an den Apotheken ausgetauscht, um sich nicht begegnen zu müssen. Aber die Zeiten waren doch andere.

Fest steht, dass sich nach den Seuchenzügen des Mittelalters der Aufschwung beschleunigte, der Agrarsektor, die Wissenschaft und Wirtschaft blühten auf, die Bevölkerungszahlen wuchsen schnell. Die deutsche Volkswirtschaft wird wegen Corona zunächst deutlich schrumpfen. Die Wirtschaftsweisen aber erwarten auch heute nach der aktuellen Pandemie eine steile Erholung und ein rasches Wachstum.

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