Rom. Italiens Premierministerin Meloni kandidiert bei den EU-Wahlen, will aber gar nicht nach Brüssel. Sie verfolgt einen besonderen Plan.

„Lasst uns auch in Brüssel die Linke in die Opposition schicken“: Mit diesem kämpferischen Slogan zieht Italiens Premierministerin Giorgia Meloni ins Rennen für die EU-Parlamentswahlen. Obwohl sie keineswegs vorhat, ihren Job als Regierungschefin aufzugeben, tritt sie für die EU-Wahl im Juni an. Gleich in allen fünf italienischen Wahlbezirken kandidiert die Rechtspopulistin. Die Europawahl wird damit zu einem Stimmungsbarometer für ihre seit 18 Monaten amtierende Regierung. Für Meloni ist der Spitzenplatz besonders attraktiv, weil sie im Rampenlicht stehen und ihre Führungsposition festigen will.

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„Ich kandidiere, weil ich die Italiener fragen will, ob sie zufrieden sind mit der Arbeit, die wir in Italien und in Europa tun“, proklamierte die Regierungschefin bei einer Parteiveranstaltung in der Adria-Stadt Pescara am Sonntag mit dem vielsagenden Titel „Italien verändert Europa“. Die Spitzenkandidatur bedeutet allerdings nicht, dass die 47-jährige Politikerin von Rom nach Brüssel wechselt. Den meisten Wählern in Italien ist klar, dass es sich bei Meloni um eine Scheinkandidatur handelt. Wenn ausgezählt ist, rücken die nächsten Kandidaten auf der Liste an die Stelle der Premierministerin.

Meloni will die Gunst der Stunde nutzen, um ihre Führung bis Ende der Legislatur 2027 zu konsolidieren. Fällt das Wahlergebnis gut aus, kann sie die Zustimmung der Wähler als Schutzschild gegen Kritik nutzen.
Meloni will die Gunst der Stunde nutzen, um ihre Führung bis Ende der Legislatur 2027 zu konsolidieren. Fällt das Wahlergebnis gut aus, kann sie die Zustimmung der Wähler als Schutzschild gegen Kritik nutzen. © AFP | Filippo Monteforte

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Meloni spielt die Karte der EU-Wahlen aus, um daraus ein internes Referendum über ihre Führung zu machen. Die gebürtige Römerin weiß genau, dass sie bei der Mehrheit der Italiener weiterhin populär ist. Laut Umfragen könnte es ihre postfaschistische Partei „Brüder Italiens“ wie schon bei den Parlamentswahlen im September 2022 auf 27 Prozent der Stimmen schaffen und sich somit als stärkste Einzelkraft des Landes bestätigen. Meloni will daher die Gunst der Stunde nutzen, um ihre Führung bis Ende der Legislatur 2027 zu konsolidieren. Fällt das Wahlergebnis gut aus, kann sie die Zustimmung der Wähler als Schutzschild gegen Kritik nutzen. Die Regierungschefin nimmt sich dabei an ihrem Vorgänger Silvio Berlusconi ein Beispiel. Der Medienzar und Populist kandidierte als Premier dreimal bei Europa-Wahlen, natürlich nicht, um in Brüssel eine Rolle zu spielen, sondern aus koalitionsinternem Kalkül.

Meloni setzt auf sich selbst: Wahlzettel mit Vornamen „Giorgia“ beschriften

Um die Stimmen der Wählerschaft zu gewinnen, setzt Meloni wie bereits Berlusconi ganz auf ihre eigene Person. So ruft sie die Wähler auf, auf den Wahlzettel ihren Vornamen „Giorgia“ als Vorzugsstimme zu schreiben. Im Gegensatz zu anderen Politikern sei sie stolz, eine Frau des Volkes zu sein und von ihren Wählern geduzt zu werden.

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Ob die Stimme überhaupt gültig ist, wenn auf dem Zettel nur „Giorgia“ steht, ist unklar. Das Innenministerium versicherte zwar, dass dies legal sei, Juristen sind aber perplex. Der emeritierte Professor für Verwaltungsrecht Franco Gaetano Scoca bezeichnete den Beschluss, lediglich den Vornamen der Premierministerin anzugeben, als „eine sehr fragwürdige Entscheidung, die Anlass zu Einsprüchen geben könnte“. „Die Ministerpräsidentin macht aus den EU-Wahlen eine Vertrauensfrage, sie verwechselt den Wahlzettel mit einem Autogramm, sie kümmert sich nicht um Italien in Europa, sondern nur um ihre Popularität“, kritisierte Expremier Matteo Renzi. Melonis Schwager und Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida entgegnete, dass laut Gesetz die Möglichkeit bestehe, allein den Namen „Giorgia“ als Präferenz auf den Stimmzettel zu schreiben.

„Scheinkandidaturen sind Verletzungen der Demokratie, die Gräben aufreißen“, kritisiert der frühere EU-Kommissionschef und Ex-Premier Romano Prodi.
„Scheinkandidaturen sind Verletzungen der Demokratie, die Gräben aufreißen“, kritisiert der frühere EU-Kommissionschef und Ex-Premier Romano Prodi. © AFP | DIMITAR DILKOFF

Um die Vertretung ihrer „Brüder Italiens“ in Europa zu stärken, spart Meloni nicht mit scharfen Slogans, ganz nach ihrem Stil. „Wir wollen unnatürlichen Koalitionen aus der Linken und Zentrumsparteien ein Ende setzen und das italienische Vorbild einer Rechtskoalition nach Europa bringen. Das wäre eine Revolution in der europäischen Politik: Die Konservativen sollen auch in Brüssel strategisch werden“, erklärte Meloni. Dabei verteidigte sie die Errungenschaften ihrer Regierung, u.a. den Kampf gegen die illegale Migration und die Förderung des Wirtschaftswachstums. „Wenn heute die EU vor allem über Schutz der Außengrenzen, Abschiebungen und strengere Regeln für NGOs spricht, ist das zu verdanken, was Italien in diesen eineinhalb Jahren mit dieser Regierung unternommen hat“, erklärte Meloni.

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Politologe D‘Alimonte: EU-Wahlen im Juni sind Italiens Halbzeitwahlen

Ihre Kandidatur sorgt für Diskussionen. „Scheinkandidaturen sind Verletzungen der Demokratie, die Gräben aufreißen“, schimpfte der frühere EU-Kommissionschef und Ex-Premier Romano Prodi. Der angesehene Politologe Roberto D‘Alimonte bezeichnet den Urnengang im Juni als Italiens Halbzeitwahlen. „Meloni weiß, dass sie populärer als ihre Partei ist, daher zieht sie in den EU-Wahlkampf“, betont der Professor an der römischen LUISS-Universtität. Bei der italienischen Wählerschaft komme Meloni wegen ihres Pragmatismus gut an. „Sie hat in diesen Monaten bewiesen, eine glaubwürdige und konkrete Politikerin zu sein. Ihre Migrationspolitik zeigt Resultate. Außerdem hat sie koalitionsintern keine wirklichen Rivalen“, meint D‘Alimonte.

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Im rechten Wahlspektrum misst sich Meloni mit der Lega um Matteo Salvini und mit der Forza Italia, die nach Berlusconis Tod von Außenminister Antonio Tajani geführt wird. Beide Parteien dürften es jedoch nicht über 8 Prozent der Stimmen schaffen. Eine offene Frage ist, wie hoch die Stimmenenthaltung sein wird. Diese könnte laut D‘Alimonte sogar auf 50 Prozent klettern. Traditionsgemäß liegt die Wahlbeteiligung bei EU-Wahlen in Italien niedriger als bei Parlamentswahlen. Und trotz Giorgias Populismus hat die Distanz zwischen den Italienern und der Politik in den letzten Jahren zugenommen, was sich negativ auf die Wahlbeteiligung auswirken könnte.