Berlin. Wege aus der Sucht gibt es viele. Wichtig: Der Betroffene muss sich Hilfe suchen, erklärt Gaby Guzek. Wie der Entzug gelingen kann.

Es gibt viele Wege, in eine Sucht zu schlittern – und mindestens ebenso viele, sich aus ihr zu befreien. Alle haben jedoch eines gemeinsam: Der Betroffene muss sich Hilfe suchen. Aus eigener Kraft schaffen es nur sehr Wenige, der Rückfall ist vorprogrammiert.

Ausstieg aus der Sucht: die wichtigsten Schritte für den Start

Jeder Ausstieg beginnt im stillen Kämmerlein: „Ich bin süchtig und ich brauche Hilfe.“ Kurze Worte, die sich für Nicht-Betroffene völlig banal anhören. Für den Abhängigen ist es eine Herkulesaufgabe. Denn genau vor diesen zwei Erkenntnissen drückt er sich jahrelang, mit immer abstruseren Ausreden. Erst, wenn er so weit ist und das vor sich selbst so formuliert, kann es aufwärtsgehen.

Die besten Artikel der Serie „Raus aus der Sucht“

Der nächste Schritt: Dieselben Aussagen vor einem anderen wiederholen. Sprich: Um Unterstützung bitten. Die klassische Anlaufstelle für Suchtfragen ist in Deutschland die Suchtberatung. Das kann aber auch der Hausarzt sein – oder direkt eine Selbsthilfegruppe, wo man sich weitere Tipps holen kann.

Die Suchtberatungsstelle ist kostenlos, auf Wunsch sogar anonym. Träger sind oft die Sozialverbände. Dort sitzen die Profis, die mit dem Betroffenen klären, wie groß das Problem ist und was als Nächstes zu tun wäre. Bei schwerer körperlicher Abhängigkeit können die Suchtberater helfen, einen Klinikplatz zum Entzug zu organisieren oder sie stellen den Kontakt zu suchtkompetenten Ärzten her. Eigentlich wirklich ideal.

Autorin Gaby Guzek ist Wissenschaftsjournalistin und Coach. In unserer Serie „Raus aus der Sucht“ beleuchtet sie verschiedene Süchte und Wege aus der Abhängigkeit.
Autorin Gaby Guzek ist Wissenschaftsjournalistin und Coach. In unserer Serie „Raus aus der Sucht“ beleuchtet sie verschiedene Süchte und Wege aus der Abhängigkeit. © Carmen Wilhelmer | Carmen Wilhelmer

Wäre da nur nicht diese Schwellenangst der Betroffenen. Diese ist wirklich unbegründet. Niemand wird dort schräg angeschaut, man stellt auch keine dummen Fragen – auch nicht, wenn es um illegale Drogen geht oder vermeintlich „peinliche“ Dinge wie Sex- oder Pornosucht. Man sieht den Betroffenen dort als das, was er ist: als Menschen, der Hilfe braucht.

Alkoholsucht: Ausstieg nie ohne Hilfe angehen – Lebensgefahr

Ganz wichtig ist es, sich Rat und Hilfe zu suchen, bevor man überhaupt aufhört. Gerade bei Alkoholabhängigkeit muss unbedingt geklärt sein, ob ein abrupter Trink-Stopp nicht sogar gefährlich werden könnte. Jedes Jahr sterben viele Menschen an so einem „kalten Entzug“, weil sie dachten, sie könnten das allein durchziehen.

Der Irrtum: „Wenn es mir zu schlecht geht, kann ich immer noch einen Arzt rufen.“ Nein, genau das geht dann eben oft nicht mehr. Den Betroffenen kann Knall auf Fall der Blutzuckerspiegel wegsacken und sie fallen ins Unterzuckerungskoma. Oder aber es kommt zu Krampfanfällen. Die kündigen sich nicht sanft an, die schlagen zu. Und dann ist es zu spät. Deshalb: Gerade für Menschen mit Alkoholproblemen ist es lebenswichtig, den Weg hinaus mit einem Profi zu besprechen.

Alhoholentzug: Diese Möglichkeiten empfehlen Experten

Stellt sich heraus, dass ein Entzug daheim zu riskant wäre, gibt es zwei Möglichkeiten:

  • Der Alkoholentzug in der Klinik oder
  • der Alkoholentzug zu Hause unter ärztlicher Aufsicht, auch das gibt es.

Der rein körperliche Entzug dauert ein bis zwei Wochen, den Ärzte mit Medikamenten erleichtern können.

Ausstieg aus Cannabis, Medikamenten und Co.: Krankschreibung möglich

Der Ausstieg aus vielen anderen Suchtmitteln hingegen funktioniert oft auch ohne. Trotzdem ist es besser, auch hier vorher medizinischen Rat einzuholen. Beispielsweise macht ein Cannabisentzug schlaflos und gelegentlich auch leicht depressiv, der Ausstieg aus Partydrogen zieht sogar ziemlich kräftige Emotionslöcher nach sich.

Das sind Dinge, auf die ein Arzt oder Suchthelfer den Betroffenen vorbereiten kann – wenn es ganz heftig kommt, lassen sich solche Entzugssymptome auch mit Medikamenten für eine kurze Zeit lindern. Für die ersten Tage des Entzuges daheim kann der Arzt auch krankschreiben. Keine Sorge: Der Arbeitgeber erfährt nicht den Grund, auch nicht von der Krankenkasse.

Entzug nach Sucht: Wer trägt die Kosten?

Die Kosten für einen akuten, körperlichen Entzug trägt die Krankenkasse. Für alles Längerfristige ist die Rentenversicherung zuständig. Die Logik dahinter: Die Arbeitsfähigkeit des Betroffenen soll ja wieder hergestellt werden. Kaum jemand ist mit dem körperlichen Entzug für immer von seiner Sucht befreit, im Gegenteil. Meist beginnt dann erst die echte Arbeit.

Denn das verdammte Suchtgedächtnis ist stark und der Betroffene braucht viel Unterstützung, Tipps und Tricks, um einen Rückfall zu vermeiden. Viele holen sich diese Hilfe in einer Langzeittherapie. Auch diese gibt es stationär oder ambulant. Was in Ihrer Gegend angeboten wird, wissen die Suchtberatungsstellen.

Wer langfristig erfolgreich abstinent bleiben möchte, kommt um eine Sache nicht herum: die Unterstützung durch andere Betroffene. Also eine Selbsthilfegruppe. Auch hier gibt es leider noch immer viel zu viele Vorurteile und Schwellenängste. „Was ist, wenn mich da jemand erkennt“, lautet die häufigste Frage. Meine Antwort an meine Klienten: „Na und, selbst wenn? Wer Sie da erkennt, der hat dasselbe Problem wie Sie.“ Der große Vorteil von Selbsthilfegruppen: Niemand muss sich da lang erklären. Alle wissen, wovon der Betroffene spricht – denn jeder dort ist selbst einmal an diesem Punkt gewesen.

Keine Selbsthilfegruppe vor Ort: Wer kann bei Entzug noch helfen?

Trotzdem: Es kann immer noch sein, dass es bei Ihnen vor Ort keine Selbsthilfegruppe gibt, in der Sie sich wohlfühlen. Oder es gibt andere Gründe, warum Sie das „klassische“ Suchthilfesystem nicht in Anspruch nehmen möchten. Dann lohnt es sich, auch online nach dem Austausch mit anderen Betroffenen und ihren Geschichten zu suchen. Für alle Menschen mit Alkoholproblemen ist der Podcast „Tanzen kann man auch auf Brause“ von Kai Rohde eine wahre Schatzkiste.

Der Besuch einer Selbsthilfegruppe kann für den Ausstieg aus der Sucht eine wichtige Unterstützung darstellen.
Der Besuch einer Selbsthilfegruppe kann für den Ausstieg aus der Sucht eine wichtige Unterstützung darstellen. © iStock | FilippoBacci

Ein kostenloses und anonymes Onlineforum finden Sie unter www.alkohol-ade.com/community. Das haben mein Mann – Dr. med. Bernd Guzek – und ich gegründet. Mehr als 6000 Mitglieder tauschen sich dort aus. Zusammen haben wir auch ein (kostenpflichtiges) 30-Tage-Programm entwickelt, das rein online gestützt den ersten Monat raus aus dem Alkohol begleitet und erleichtert. Mehr Informationen zum Programm finden Interessierte hier.

Eine sehr gute erste Online-Anlaufstelle für alle Art von Suchterkrankungen sind auch die Soberguides (www.soberguides.de). Das sind Berater (die meisten selbst ehemalige Abhängige), die kostenlos und auf Wunsch auch anonym Betroffenen online und telefonisch mit Rat und Tat zur Seite stehen.

Zur Person

  • Gaby Guzek ist seit mehr als 30 Jahren Fachjournalistin für Wissenschaft und Medizin.
  • Sie arbeitete nach ihrem Studium unter anderem bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und der Fachzeitschrift „Die Neue Ärztliche“. Jahrelang selbst von schwerer Alkoholsucht betroffen und mit den Therapiemöglichkeiten unzufrieden, begann sie, sich intensiv mit dem Phänomen Sucht auseinanderzusetzen. 2020 veröffentlichte sie im Eigenverlag ihr Buch „Alkohol adé“* und steht heute als Coach unter gaby-guzek.com und in ihrem Forum alkohol-ade.com Alkoholsüchtigen zur Seite.
  • Ihr aktuelles Buch „Die Suchtlüge. Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen“ ist bei Heyne erschienen.

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Gaby Guzek: Die Suchtlüge
Der Mythos von der fehlenden Willenskraft: Wie Sucht im Hirn entsteht und wie wir sie besiegen. HEYNE Verlag, Taschenbuch mit  224 Seiten, 13 Euro

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Serie „Raus aus der Sucht“ Lesen Sie exklusiv bei uns jede Woche eine neue Folge.

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