Berlin. Bei ADHS können Medikamente helfen. Ihr Einsatz ist aber nicht immer möglich, etwa wegen Suchtgefahr. Nun gibt es eine weitere Alternative.

In den USA wurde die Arzneimittelbehörde FDA ein neues Medikament für Menschen mit AD(H)S, also mit Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom (ADS) mit oder ohne Hyperaktivität (H), zugelassen: Onydra XR. Das Gute in den Augen von ADHS-Experten: Das Medikament fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) – und das hat gleich mehrere Vorteile.

„Da es nicht auf Betäubungsmittelrezept verordnet werden muss, ist das für die Patienten eine Möglichkeit, leichter an eine Medikation zu kommen“, erklärt Astrid Neuy-Lobkowicz, Fachärztin für Psychosomatik und Psychotherapie ist Mitglied im Vorstand des Bundesverband ADHS-Deutschland. Die meisten Psychiaterinnen und Psychiater hätten nämlich gar keine Betäubungsmittelrezepte oder würden sich scheuen, diese auszustellen, so Neuy-Lobkowitz, die selbst von ADHS betroffen ist.

Beim wohl bekanntesten ADHS-Medikament Ritalin ist das anders. Dessen Hauptinhaltsstoff ist der amphetaminartige Wirkstoff Methylphenidat. Dieser Wirkstoff ist dem Betäubungsmittelgesetz unterstellt und es besteht, wie bei allen Wirkstoffen die unter das BtMG fallen, grundsätzlich Suchtpotential. Deshalb ist es wichtig, dass Ritalin nur unter ärztlicher Aufsicht und nach genauer Diagnose verwendet wird.

Ritalin hat anders als das in Onydra XR enthaltende Clonidin eine stimulierende Wirkung. Das bedeutet, dass es die Aktivität bestimmter Neurotransmitter im Gehirn erhöht, insbesondere von Dopamin und Noradrenalin. Die Übertragung von Nachrichten von einer Nervenzelle zur nächsten wird quasi beschleunigt.

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    So wirkt das neue zugelassene ADHS-Medikament

    Das ist bei Clonidin, dem Wirkstoff des neu zugelassenen ADHS-Medikaments anders. Laut Herstellerangaben ist Onydra XR das einzige nicht-stimulierendes ADHS-Medikament in flüssiger Form. Nicht-stimulierende ADHS-Medikamente sollen dem Gehirn ebenfalls helfen, besser zu arbeiten, jedoch ohne es – im übertragenen Sinne – zu beschleunigen. Sie sollen das Gehirn beruhigen und so die Impulsivität und Hyperaktivität Betroffener reduzieren. Clonidin etwa schwächt die Wirkung von Adrenalin und soll unter anderem die Aufmerksamkeit sowie das Arbeitsgedächtnis von ADHS-Betroffenen verbessern.

    Clonidin wird laut des Arzneimittelverzeichnisses Gelbe Liste Pharmindex in verschiedenen Darreichungsformen wie Injektionslösung, Augentropfen, Tabletten oder Kapseln auch zur Behandlung von Bluthochdruck und Grünem Star eingesetzt. Bei ADHS ist „das Medikament ist bereits in ähnlicher Form für Kinder zugelassen“, ergänzt Neuy-Lobkowitz.

    Das neue Medikament ist von der FDA für die Behandlung von ADHS ab einem Alter von sechs Jahren zugelassen und kann entweder alleine gegeben oder als sogenannte Zusatztherapie zu Wirkstoffen, die das Gehirn stimulieren, wie etwa Ritalin. Es wird einmal täglich zur Nacht eingenommen.

    Zu den häufigsten unerwünschten Nebenwirkungen des neu zugelassenen ADHS-Medikaments gehören:

    • Somnolenz, einem schläfrigen Zustand in Form einer Bewusstseinsstörung
    • Müdigkeit
    • Reizbarkeit
    • Albträume
    • Schlaflosigkeit
    • Verstopfung und
    • Mundtrockenheit
    • Appetitlosigkeit
    • Schwindel

    Ritalin: Neues Medikament als Alternative

    ADHS-Spezialistin Alexandra Philipsen, Chefärztin der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn, sieht in der Neuzulassung von Onydra XR eine sinnvolle Ergänzung für Patientinnen und Patienten mit ADHS. Allerdings werde das ADHS-Medikament zumindest in den USA bereits recht häufig und auch hier in Deutschland schon „off-label“, also ohne explizite Zulassung, angewendet, so Philipsen.

    Philipsen bezeichnet das blutdrucksenkende Mittel sogar als „uralt“. Studien zu Clonidin gebe es schon lange. Zudem ähnelt es laut Philipsen dem Wirkstoff Guanfacin, der bereits offiziell zur Behandlung von ADHS angewendet werden kann – und zwar unter dem Markennamen Intuniv bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 6 bis 17 Jahren. Allerdings gibt es Hürden: Laut offiziellen Leitlinien darf es nur dann eingesetzt werden, wenn eine Therapie mit Stimulanzien wie Ritalin nicht möglich ist, nicht vertragen wurde und unwirksam ist. Bei Erwachsenen darf das Mittel gar nicht eingesetzt werden.