Wolfsburg. Der Wolfsburger Profiboxer Artur Reis will im IBO-WM-Kampf gegen den Kubaner Osleys Iglesias seine Grenzen verschieben.

Wie gut jemand wirklich ist, weiß er eigentlich immer erst, wenn er jemanden gefunden hat, der besser ist als er. Bis dahin zieht man entweder aus der Furcht vor dem Scheitern zurück oder man testet sich immer weiter nach vorne. Artur Reis ist einer der letzteren Kategorie, ein Grenzgänger. Er will wissen, wie gut er ist. Das war schon im Kickboxen so, als er als Außenseiter nach Frankreich fuhr und mit dem Weltmeister-Titel nach Hause zurückkehrte. Das war auch bei seinem Ausflug ins Mixed Martial Arts so, als er nach fünf Kämpfen einsehen musste, dass er mit einer klassischen Standkampf-Ausbildung ohne Bodenerfahrung nicht weiterkommt. Und das ist im Boxen so. Am Samstagabend (ab 22.30 Uhr, live im MDR) wandelt der Wolfsburger Supermittelgewichts-Profi wieder an einer Grenze und hofft, diese ein Stück weit verschieben zu können. IBO-Weltmeister Osleys Iglesias aus Kuba wird ihn im ausverkauften Maritim-Hotel in Magdeburg fordern wie noch kein Gegner im Boxring. Und der 30 Jahre alte Außenseiter aus der Autostadt sucht die Chance, von der viele nicht glauben, dass er sie hat.

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Iglesias gilt im Boxen als Komplettpaket. Reis sieht in ihm nicht den Techniker der hochgelobten kubanischen Boxschule. „Er ist recht steif und knallt“, so der Wolfsburger. Der Kampfname „Tornado“ klingt auch nicht nach feiner Klinge und seine K.o.-Statistik (sieben vorzeitige Siege in acht Kämpfen) spricht auch nicht dafür. Gleichwohl hat Iglesias das komplette Schlagrepertoire parat, ist allein durch seine Größe von 1,90 Meter und der daraus resultierenden Reichweite schwer zu treffen.

Artur Reis: Iglesias ist der erste Rechtsausleger seiner Profibox-Karriere

Und was ihn ebenfalls unbequem macht: Der 25-Jährige ist Linkshänder. Von denen gibt es nicht ganz so viele, weshalb sich Normalausleger wie Reis immer erst einmal auf sie einstellen müssen. Dass der Wolfsburger einen so genannten Rechtsausleger unter Wettkampfbedingungen vor den Fäusten hatte, ist schon eine Weile her. „Letzte Woche im Sparring“, sagt er augenzwinkernd. Im Training hat er so gut es geht versucht, sich auf den Kubaner einzustellen, sagt inzwischen: „Es ist natürlich unbequem, aber ich habe mich schon ganz gut an Rechtsausleger gewöhnt.“

Reis zeigt sich vor seiner schwierigsten sportlichen Aufgabe extrem locker. Hinter ihm stehen viele harte Trainingswochen, in denen er fast täglich die rund 100 Kilometer zum Training bei Dirk Dzemski in Magdeburg auf sich genommen hat. Während viele in Iglesias einen kaum zu überwindenden Spitzenmann sehen, hat der erfahrene Dzemski seinen Schützling bestärkt, die Herausforderung Iglesias anzunehmen. Dzemski wirkt nicht wie einer, der seine Boxer ins Verderben rennen lässt. Wenn er mit ihnen antritt, dann gibt es einen Plan, wie der Gegner zu knacken ist. Gleichwohl kann es sein, dass es nicht funktioniert.

Während Iglesias-Coach Georg Bramowski sich kurz fasst und sagt, sein Athlet habe im Grunde keine Schwächen, sind Reis und Dzemski auf die Suche gegangen, diese ausfindig zu machen. Reis muss die richtige Distanz finden, um den Weltmeister zu treffen und schnell genug wieder wegkommen, um nicht selbst viel zu kassieren. Eine hohe Kunst, die dazugehört, wenn man im Konzert der Besten mitmischen will. Die Chance, die sich mit einem Sieg bietet, ist für Reis größer als das Risiko, die erste Niederlage einstecken zu müssen.

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Scharmützel bei Pressekonferenz und öffentlichem Training

Am Mittwoch bei der Pressekonferenz und später beim öffentlichen Training in einem Magdeburger Einkaufszentrum gab es noch das eine oder andere Scharmützel. Es ging noch einmal darum, dass Reis‘ langjähriger Trainer Antonino Spatola nun Iglesias in dessen Ecke unterstützen möchte. Reis zeigte sich noch einmal so gar nicht erfreut. Und bei der Showeinheit verzichteten Bramowski und der Champion darauf, sich zu präsentierten, schauten aber ganz interessiert Reis zu, der ein paar Showschläge und Schattenboxen zeigte. „Es gab nichts abzugucken“, sagt Reis schmunzelnd.

Die Profikarrieren beider noch ungeschlagenen Athleten sind gepflastert mit vorzeitigen Siegen. Reis steht bei acht vorzeitigen in elf Kämpfen (Nummer 55 der unabhängigen Weltrangliste boxrec.com), Iglesias bei sieben in acht (Nummer 14 der Welt). Die bisherige Profikarriere des Wolfsburgers ist schwer zu bewerten. Seinen bisher wichtigsten Sieg gegen Davide Faraci hat er im vergangenen Oktober in gerade einmal 78 Sekunden eingefahren. Die damalige Nummer 41 der Welt schickte er in dessen Schweizer Heimat in Boxrente. Danach gab‘sin Kroatien gegen Bruno Knjezevic und in Magdeburg gegen Pavlo Ospinnikov eher unspektakuläre Siege. Länger als sechs Runden ging es nie, am Samstag warten maximal zwölf. Aber was sich deutlich zeigt: Reis scheut keine Herausforderung, boxt auch in der Höhle des Löwen, wenn es ihn nach vorne bringen kann.

Zuletzt musste Artur Reis in Magdeburg gegen Pavlo Ospinnikov zum erst dritten Mal über die Runden gehen. Es war ein eher mühevoller Sieg für den Wolfsburger.
Zuletzt musste Artur Reis in Magdeburg gegen Pavlo Ospinnikov zum erst dritten Mal über die Runden gehen. Es war ein eher mühevoller Sieg für den Wolfsburger. © Sport | Team SES, P. Gercke

Artur Reis sieht seine Chancen im WM-Kampf bei „50:50“

Iglesias hat 2022 gegen den früheren Weltklasse-Mann Isaac Chilemba in Polen nach zwölf Runden gewonnen, danach nach einem Treffer auf den Hinterkopf einen Erstrunden-Sieg gegen Ezequiel Maderna gefeiert und sich im Dezember den IBO-Titel gegen Andrii Velikovskyi gesichert. Der Ukrainer war ziemlich malträtiert, der Ringrichter nahm ihn nach zehn einseitigen Runden aus dem Kampf. Iglesias, der sich 2019 von der kubanischen Amateur-Nationalmannschaft abgesetzt hatte und seitdem in Chemnitz lebt, hatte damit nur zwei Profi-Arbeitstage, die länger als drei Runden dauerten.

Reis muss trotzdem nicht lange überlegen, wenn er seine Chancen am Samstag einschätzen soll. „50:50 - das ist Boxen, da kann alles passieren. Alle sagen das, aber ich fühle mich nicht als Außenseiter.“ Nach dem Wiegen am Freitag (15 Uhr, Einkaufszentrum Florapark in Magdeburg) wird der Rummel erst einmal vorbei sein. Es geht darum, Reserven aufzufüllen. In der Regel macht Reis das mit Nudeln oder Steak. Abends geht‘s mit dem Team seines SES-Stalls ins Kino, Reis: „Was wir gucken, entscheiden wir spontan.“ Am Kampftag selbst steht Entspannung mit Spazierengehen an, Ringatmosphäre schnuppern im leeren Maritim-Saal und den Fokus finden. Reis wird mal wieder an seine Grenzen gehen müssen, vielleicht sogar darüber hinaus, um erstmals einen Profi-Gürtel nach Wolfsburg zu holen. Er sagt: „Ich will wissen, ob ich zur Weltklasse gehöre.“