Berlin/Mannheim.. Die Messerattacke gibt Rätsel auf. Geriet der junge Attentäter in die Fänge eines islamistischen Predigers? Was über ihn bekannt ist.

Der Attentäter von Mannheim gibt den Ermittlern auch Tage nach der Bluttat Rätsel auf. Die Indizien sprechen dafür, dass sich der 25-jährige Sulaiman A. vor einiger Zeit zum Islamisten radikalisiert hat – aber wie konnte ein afghanischer Flüchtling, der sich vorbildlich in Deutschland integrierte, so abdriften? Ist er in die Fänge eines Dschihad-Predigers geraten?

Es sind Spuren einer unheimlichen Verwandlung: Sulaiman A. stammt aus der Gegend von Herat, der zweitgrößten Stadt Afghanistans im Westen des Landes. Der Junge ist erst 14 Jahre alt, als er im Frühjahr 2013 als unbegleiteter Flüchtling nach Deutschland einreist und Asyl beantragt. Anfangs ist er in Frankfurt am Main untergebracht, dann wohnt er in einer Jugendwohngruppe in Bensheim im hessischen Landkreis Bergstraße.

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Sulaiman findet schnell Kontakt, trainiert im Taekwondo-Verein Bergstraße Bensheim: In diesem Kampfsport nimmt er schnell erfolgreich an Wettbewerben teil, gewinnt Silber beim Internationalen Rheinland-Pfalz-Pokal und 2014 Gold bei den Hessenmeisterschaften. Auf einem Foto der Lokalzeitung Bergsträßer Anzeiger präsentiert der schlaksige Junge seine Goldmedaille stolz zwischen den Zähnen.

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Sulaiman A. engagierte sich ehrenamtlich in Flüchtlingshilfe

Er schafft 2017 einen erweiterten Hauptschulabschluss, absolviert Deutschkurse auf dem Niveau B2 – er kann sich nun fließend auf Deutsch verständigen – und ist eine Zeit lang als Hilfsarbeiter beschäftigt. Ehrenamtlich engagiert sich der junge Mann in der Flüchtlingshilfe im Landkreis. 2019 heiratet Sulaiman A. eine aus der Türkei stammende Frau mit deutscher Staatsangehörigkeit, das Paar bekommt zwei Kinder: Das ältere soll jetzt drei Jahre alt sein, das kleinere fast ein Jahr. Zusammen leben sie unauffällig im neunten Stock eines Hochhauses in Heppenheim, einer Kreisstadt bei Mannheim.

Ein Mitarbeiter der Spurensicherung auf dem Marktplatz von Mannheim nach dem Messer-Angriff.
Ein Mitarbeiter der Spurensicherung auf dem Marktplatz von Mannheim nach dem Messer-Angriff. © DPA Images | Uwe Anspach

Sulaiman A. gilt als gut integriert. Nur mit dem Asyl klappt es nicht, seine Lage ist prekär. Der Antrag von Sulaiman A. wird schon im Sommer 2014 abgelehnt, er darf aber bleiben. Erst gilt ein Abschiebeverbot, wegen der unsicheren Lage in Afghanistan und vermutlich auch wegen seines Alters. Voriges Jahr schließlich erhält er endlich eine bis 2026 befristete Aufenthaltsgenehmigung – als Vater eines Kindes, das in Deutschland geboren ist und die deutsche Staatsangehörigkeit hat.

Als die Ermittler nach der Bluttat am vergangenen Freitag ermitteln, sind sie ratlos: Sulaiman A, der auf dem Marktplatz in Mannheim vor einer islamkritischen Kundgebung mit einem Kampfmesser einen Polizisten getötet und fünf Menschen schwer verletzt hat, scheint ein gänzlich unbescholtener Bürger zu sein: Er ist nicht in Polizeidatenbanken registriert, auch nicht beim Verfassungsschutz, Verbindungen zu islamistischen Netzwerken sind nicht ersichtlich.

Nachbarn berichten, dass sich Sulaiman A. plötzlich veränderte

Eine Tat aus dem Nichts? Nachbarn im Heppenheimer Hochhaus berichten jetzt, dass sich Sulaiman A. in letzter Zeit verändert haben soll – vor ein paar Monaten habe es begonnen, lässt sich einer der Bewohner im „Mannheimer Morgen“ zitieren, andere wollen den Wandel schon früher beobachtet haben, vielleicht vor einem Jahr. Klar ist nur: Der Mann hat sich in der Zwischenzeit einen Vollbart im Stil der Islamisten wachsen lassen, geht auf Distanz, ist gegenüber den Nachbarn verschlossen.

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    Warum, dafür könnten die Ermittler eine Erklärung gefunden haben, nachdem Spezialkräfte wenige Stunden nach der Tat die Dreizimmer-Wohnung durchsuchten – die ist leer, Frau und Kinder befinden sich an einem anderen Ort in Deutschland, der der Polizei bekannt ist. Die Fahnder beschlagnahmen elektronische Datenträger, können auch Mobilfunkdaten auswerten. Sulaiman A. hat offenbar vor einigen Monaten begonnen, im Internet islamistische Videos hochzuladen.

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    Nach einem Bericht der „Welt“ handelt es sich unter anderem um Videos des getöteten afghanischen Predigers und Taliban-Kommandeurs Ahmad Zahir Aslamiyar, der in Youtube-Filmen zum Dschihad gegen den Westen aufruft. Seine Botschaften werden auch in Kanälen der besonders gefährlichen Terrororganisation „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK) geteilt.

    Die Spuren im Internet erhärten für die Kriminalbeamten den Verdacht auf einen islamistisch-extremistischen Hintergrund, der Generalbundesanwalt übernimmt die Ermittlung. Hinweise auf ein Netzwerk gibt es bislang aber offenbar nicht. Nach dem bisherigen Erkenntnisstand soll alles dafür sprechen, dass Sulaiman A. ein Einzeltäter gewesen ist.