Braunschweig. Dennis Schröder ist Weltmeister, spielt seit zehn Jahren in der NBA. Sein Weg verlief längst nicht immer gerade. Am Freitag wird er 30 Jahre alt.

Wie weit ist es vom Prinzenpark auf den WM-Thron? Um diese Frage zu beantworten, könnte man nun einfach die Entfernung zur Mall of Asia Arena in Manila berechnen. Ganz pragmatisch. Dort haben die deutschen Basketballer das WM-Finale gewonnen. Etwa 10.200 Kilometer Luftlinie ist die Halle von Braunschweig entfernt. Eigentlich aber ist der Weg viel weiter. Und er ist nicht gerade. Im Falle von Dennis Schröder war es eher ein langer Zick-Zack-Kurs – im buchstäblichen wie auch im übertragenen Sinne.

Was das alles mit dem Prinzenpark im Herzen Braunschweigs zu tun hat? Dieser Ort ist eng mit dem Kapitän der deutschen Basketball-Nationalmannschaft verknüpft. Er gilt als Epizentrum von Schröders sportlicher Laufbahn. Dort hat er als Kind viel Zeit verbracht. Allerdings hauptsächlich auf dem Skateboard. Nur zwischendurch haben Schröder und sein Bruder Che mal zum Basketball gegriffen. Und da fiel der heutige Profi Liviu Calin auf.

Dennis Schröder konnte Dinge mit dem Basketball, die Gleichaltrige nicht konnten

Weil er Dinge mit dem Ball konnte, die Gleichaltrige nicht beherrschten. Elf Jahre war er damals alt. Calin war als Trainer in Braunschweig tätig. Das ist er auch heute noch. Aufgefallen sei Schröder ihm aber schon vorher. Auf dem Parkplatz unter der Sporthalle Alte Waage habe er viel Zeit verbracht – auch dort mit dem Skateboard, erinnert sich Calin.

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Im Prinzenpark legte der Coach Schröder nahe, doch einmal zum Basketball-Training zu kommen. Und das tat er. Allzu viel Überzeugungsarbeit habe Calin nicht leisten müssen. „Er hat auch damals schon gemacht, was er gefühlt hat“, sagt der Rumäne. Das macht Schröder auch heute noch. Und damit ist ein entscheidender Charakterzug des Weltmeisters genannt.

Basketball-Weltmeister: „Ich war ein Rebell“

Schröder hat seinen eigenen Kopf. Der junge Sportler musste zunächst einmal lernen, sich unterzuordnen, Disziplin zu üben. „Er hat den Kodex des Sports am Anfang nicht immer beherrscht“, sagt Calin. Das hat immer mal wieder zu Problemen geführt. Auch in der Schule. „Ich war ein Rebell“, sagt Schröder im Interview mit dem Youtuber Leeroy Matata.

Und im Basketball? Da brachte ihn seine Art ebenfalls in Schwierigkeiten. Als er 13, 14 Jahre alt war, wurde er aus der deutschen Auswahl-Mannschaft gestrichen. Einige Trainer hielten ihn für arrogant, wollten nicht mit ihm arbeiten. Das, was Schröder als großes Defizit ausgelegt wurde, war aber gleichzeitig seine größte Stärke. Was manch einer Arroganz nennt, ist für jemand anderen Selbstbewusstsein.

Hartes Training unter Liviu Calin

Nur brauchte er den richtigen Bezug, um das zu kanalisieren. „Er brauchte jemanden, dem er vertraut“, sagt Calin. Der rumänische Coach war dieser jemand. Gleichzeitig vertraute Calin Schröder ebenso, ließ ihn sein, wie er war. Und sobald Schröder dieses Vertrauen spürt und von einer Sache überzeugt ist, verfolgt er sie mit Leib und Seele.

Calin packte ihn im Training hart an. Einen Welpenschutz gab‘s nicht. Früh trainierte Schröder bei den Braunschweiger Zweitliga-Basketballern mit. Da war er nicht einmal 16 Jahre alt, erinnert sich Calin. Ein ganz bestimmter Trainingstag ist dem Coach noch heute gut im Gedächtnis. Schröder musste gegen seine Mitspieler verteidigen, sie am Korberfolg hindern. Die waren alle deutlich älter als er – und nahmen keine Rücksicht. Schröder gelang es nicht, seine Kollegen zu stoppen. Minute um Minute versuchte er, sie aufzuhalten, aber sie waren stärker als er. Nach der Einheit flossen Tränen. „Ich dachte, er wird nicht wiederkommen“, sagt Calin.

Dennis Schröder lockte die NBA-Scouts in die VW-Halle.
Dennis Schröder lockte die NBA-Scouts in die VW-Halle. © BZ | Sebastian J. Schwarz

Schwerer Schicksalsschlag für Dennis Schröder

Aber er kam wieder. Diese Anekdote spiegelt den riesigen Ehrgeiz wider, der Schröder innewohnt. Er will besser werden, er will sich beweisen. Das war damals so und ist es auch heute noch. Und als das Schicksal mit voller Wucht zuschlug, erstickte der Ansporn die Zögerlichkeit endgültig. Als er gerade einmal 16 Jahre alt war, starb Schröders Vater. Wochenlang wand er sich im Schmerz über diesen Verlust, zerlegte sein Zimmer zu Kleinholz. Dann fasste er einen Entschluss. Er hatte seinem Vater versprochen, dass er im Basketball seinen Weg machen würde, dass er allen Kritikern beweisen würde, wie gut er sein kann – und damit auch für seine Familie sorgen würde.

Auch Calin gab er das Versprechen, alles zu tun, was nötig ist, um das große Ziel zu erreichen. Da war er wieder, dieser große innere Antrieb, dieser unbändige Ehrgeiz. Und Schröder schaffte es. Als Teenager setzte er sich erst in der 2. Liga, dann in der Bundesliga durch. Und das als Spielmacher, gibt es auf dieser Position doch üppige Konkurrenz aus dem Ausland. In den USA zum Beispiel muss man eigentlich nur einen Stein in die Menge werfen und trifft mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Point Guard – bildlich gesprochen natürlich.

NBA-Scouts in Braunschweig

In Braunschweig „eliminierte“ Schröder diese Amerikaner im Training, wie Calin sagt. In der Saison 2012/13 gelang ihm in der Bundesliga der Durchbruch. Plötzlich pilgerten die NBA-Scouts in die VW-Halle, um den Braunschweiger spielen zu sehen. Und Schröder gefiel ihnen. Im sogenannten Draft wählten ihn im Jahr 2013 die Atlanta Hawks aus.

Plötzlich war Schröder auf der ganz großen Bühne. Gerade einmal 19 Jahre war er damals alt. Immer noch ein Teenager. Seine Schwester begleitete ihn anfangs, um für ihn zu kochen. Andere Familienmitglieder und Freunde waren auch ständig vor Ort. Und irgendwie war Schröder trotzdem allein. Zumindest im großen Basketball-Zirkus.

Geld und NBA-Rummel – erste Jahre in den USA

Dazu kam das Geld. Aus heiterem Himmel war Schröder reich. 1,35 Millionen Dollar verdiente er – allein in seinem ersten Jahr in Atlanta. Mit alledem muss ein so junger Mensch erst einmal umzugehen lernen. Schröder kaufte sich dicke Autos mit goldenem Lack, kokettierte damit in den Sozialen Medien. Für Profi-Sportler ist das Ausdruck der eigenen Wertigkeit. In den USA ist das kein Problem. Dort guckt niemand schräg, wenn Wohlstand sichtbar gemacht wird. In Deutschland war der Tenor anders. Viel Kritik musste Schröder einstecken.

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In der Heimat herrscht schließlich die weitläufige Meinung vor, wer Geld hat, soll zumindest bodenständig wirken. Auch wenn die Menschen das eigentlich recht wenig angeht. Sportlich nahm Schröder die Herausforderung NBA an. Schon in seinem zweiten NBA-Jahr kam er auf einen Durchschnitt von zehn Punkten pro Spiel. Unter Trainer Mike Budenholzer entwickelte er sich zum Leistungsträger der Hawks. Im Jahr 2018 ging es für ihn weiter zu den Oklahoma City Thunder, danach zu den LA Lakers.

Schlug Schröder wirklich 84 Millionen Dollar aus?

Und dann gab‘s wieder Häme. In Los Angeles soll Schröder angeblich ein Angebot über 84 Millionen Dollar ausgeschlagen haben. Die Gazetten überschlugen sich. Das Internet erst recht. Dabei hat dieses Angebot nie wirklich konkret auf dem Tisch gelegen. Schröder schloss sich den Boston Celtics an – für ein Jahr und rund fünf Millionen Dollar. Für NBA-Verhältnisse ein eher geringes Gehalt. Aber: „Wenn das wirklich mein tiefster Punkt ist, nehme ich das“, sagt Schröder bei Youtube.

Von den Celtics wurde Schröder schließlich zu den Houston Rockets getauscht, ehe er in der vergangenen Saison wieder für die Lakers auflief. All seine NBA-Klubs hat er übrigens auf seinem Körper verewigt. Die Logos der Teams prangen als Tattoos auf dem Oberschenkel des Basketballers. Da wird wohl demnächst noch das Wappen der Toronto Raptors hinzukommen. Für das kanadische NBA-Team wird Schröder in der kommenden Saison auflaufen. Für ein Salär von 12,4 Millionen Dollar übrigens.

In der 2. Liga musste Dennis Schröder auch viel einstecken.
In der 2. Liga musste Dennis Schröder auch viel einstecken. © Susanne Hübner | Susanne Hübner

An der Seite von LeBron James

Im Laufe seiner Karriere in den USA hat Schröder freilich nicht immer die erste Geige gespielt. Bei den Lakers etwa stand er mit Stars wie Anthony Davis oder LeBron James im Aufgebot – seines Zeichens einer der besten Basketballer aller Zeiten. Da muss man sich unterordnen können. Das tat Schröder – und zwar ohne zu murren oder zu motzen. Er gab den Teams das, was sie brauchten. Am Freitag wird er 30 Jahre alt. Heißt das, er ist reifer geworden? Dieser Beschreibung trifft‘s vielleicht nicht ganz. Eher hat Schröder sein Profil geschärft.

Auch dem Rebellen von damals ist er ein wenig entwachsen. Wobei Calin ihn ohnehin nicht als solchen bezeichnen würde. Vielmehr sagt der Rumäne: „Dennis ist gefährlich smart.“ Seine Attitüde hat Schröder aber freilich nicht verloren. Nach wie vor ist er ein Sportler, der erst richtig aufblüht, wenn er Vertrauen spürt und Verantwortung übernehmen kann. Vielmehr fordert er diese Verantwortung gar ein. So wie bei der Nationalmannschaft. Die hat er zum größten Erfolg ihrer Geschichte geführt – als unumstrittener Anführer.

Fotos von goldlackierten Autos postet Schröder heute nicht mehr. Seinen Grundprinzipien folgt er aber weiterhin so strikt, wie man ihnen nur folgen kann. Die Familie steht immer an erster Stelle. Und auch die Heimatverbundenheit ist ihm wichtig. Als Hauptgesellschafter unterstützt er die Basketball Löwen – seinen Ausbildungsverein. Und wenn er mal in Braunschweig durch die Stadt läuft, bleibt er bei Menschen stehen, die er von früher kennt. Ein Händeschütteln hier, ein kleiner Plausch dort. Auch den Prinzenpark hat er freilich nicht vergessen. Im Sommer lud er in den Sozialen Medien oft zum Zocken auf der Rollschuhbahn ein. Dort, wo ihn Calin als Elfjährigen entdeckte, weil er mit dem Basketball Dinge konnte, die in seinem Alter nicht viele beherrschen.