Rom. Mitte Mai hat ein Erdbeben die Region um den Supervulkan Campi Flegrei in Italien erschüttert. Wie Anwohner auf die Gefahr reagieren.

  • Millionen Menschen leben in Italien rund um den Supervulkan Campi Flegrei
  • Doch die Gefahr, die von den Phlegräischen Feldern ausgeht, wächst
  • Einige Anwohner stehen nun vor einer schweren Entscheidung

Margherita liebt ihre Heimat. Fast ein halbes Jahrhundert lang lebt die Italienerin nun schon in Pozzuoli bei Neapel. Dort, wo Mitte Mai 2024 die stärkste Erdbebenserie seit 40 Jahren die Menschen aus ihren Häusern trieb. „Die Erde hat nicht aufgehört zu beben“, berichtet Margherita, die in der Stadt als Lehrerin arbeitet. „Es war ein Albtraum. Wir sind alle auf die Straße gerannt.“

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Und das, obwohl Erdbeben für die Menschen in der Region keine Besonderheit sind. Die Erde in und um Neapel kommt seit Monaten kaum zur Ruhe. Schuld sind die Phlegräischen Felder, ein sogenannter Supervulkan, der immer wieder für Erdstöße in der Region sorgt. Doch eine Stärke von 4,4 – das hatten die meisten Menschen in und um Pozzuoli noch nicht erlebt. Laut dem Nationalen Institut für Geophysik und Vulkanologie (INGV) wurden bis kurz vor Mitternacht am Montag 49 Erschütterungen registriert. Vulkanologen halten weitere Erdbeben für möglich.

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Sorgen wegen Supervulkan: „Druck unter Erdkruste hat zugenommen“

Insgesamt 39 Familien sind in der Nacht auf Dienstag allein in Pozzuoli aus ihren Häusern evakuiert worden. Das Erdbeben hatte Schäden an einigen Häusern hinterlassen, die Behörden überprüften Wohngebäude und Bahnlinien auf ihre Stabilität. Meldungen über Verletzte blieben glücklicherweise aus. Sporthallen in den Städten Pozzuoli und Bacoli wurden in Aufnahmezentren für die verängstigte Bevölkerung umfunktioniert. An mehreren Stellen errichteten die Behörden Notunterkünfte.

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Die „Campi Flegrei“ sind kein Vulkan wie der Vesuv, der bei seinem Ausbruch im Jahr 79 n. Chr. Pompeji in Schutt und Asche legte. Stattdessen schlummert die Gefahr im Boden: Die „brennenden Felder“ nehmen ein insgesamt 150 Quadratkilometer großes Areal aus zahlreichen Kratern ein, das zu weiten Teilen unter der Meeresoberfläche liegt. Dort hebt und senkt sich in langsamen Intervallen die Erde, ein Phänomen, das Fachleute „Bradyseismus“ nennen und das auf die unterirdischen Magmabewegungen zurückgeht.

Wenn die Magmakammern sich füllen und wieder leeren, sind die Folge Erdbeben, deren Zahl in den vergangenen Monaten immer weiter zugenommen hat. Experten sehen vor allem das jüngste starke Beben als Anzeichen für eine erhöhte vulkanische Aktivität im Großraum Neapel.

„Ein Erdbeben der Stärke 4,4 bezeugt, dass der Druck unter der Erdkruste zugenommen hat“, warnt auch Giuseppe De Natale, Vulkanologe beim INGV. Ein Erdbeben dieser Stärke sei im hochseismischen Italien per se keine Seltenheit. „In diesem Fall jedoch lag das Epizentrum nur zwei Kilometer tief, daher ist eine derartige Erschütterung so klar zu spüren“, erklärt De Natale. Schon 2018 habe er bei den Behörden vor der Gefahr eines stärkeren Bebens gewarnt, so der Experte weiter. „Es ist wichtig, dass die Stabilität der Häuser geprüft wird – viele von ihnen sind alt und können einer stärkeren Erschütterung nicht standhalten.“

Menschen stehen in Neapel nach einem Erdbeben verängstigt auf der Straße.
Menschen stehen in Neapel nach einem Erdbeben verängstigt auf der Straße. © DPA Images | Alessandro Garofalo

Häuser nicht erdbebensicher – Experten alarmiert

Antonello Fiore, Präsident der italienischen Gesellschaft für Umweltgeologie, ruft die Politik zum Handeln auf: „Die seismische und vulkanische Sicherheit muss zur Priorität der Regierung werden“, fordert er. Letztere müsse strukturelle Maßnahmen zum Schutz von Menschenleben, Gebäuden und Infrastruktur ergreifen. Die bestehenden Notfallpläne für den Fall eines Ausbruchs reichten für die Evakuierung der Bevölkerung nicht aus, so die Kritik. Im Katastrophenfall wären Experten zufolge im gesamten Raum Neapel über drei Millionen Menschen betroffen. Noch immer verfügen jedoch laut Fiore nicht alle Gemeinden der Gegend über Katastrophenschutzpläne.

Die vulkanische Aktivität im Boden ist in Pozzuoli auch für den Laien spürbar: Auf dem bekannten Kraterfeld Solfatara blubbert es aus der Erde, Wasserdampf steigt aus kleinen Kratern auf, die Luft ist mit Kohlendioxid und Schwefel versetzt. Der Geruch von faulen Eiern überwabert das Gebiet. Und in unmittelbarer Nähe: die Stadt Pozzuoli mit ihren 81.000 Einwohnern. Nur knapp 20 Kilometer weiter östlich liegt Neapel. Der letzte Ausbruch der „brennenden Felder“ liegt etwa 500 Jahre zurück, dennoch – oder gerade deswegen – wächst unter Einheimischen wie Margherita und ihrer Familie die Furcht.

Viele Menschen, auch ältere Personen, hätten aus Angst vor weiteren Erdstößen beschlossen, die Nacht im Freien zu verbringen, berichtet Margherita. Sie und ihr Mann Luigi entschieden sich in ihrer Panik, mit ihrer sechsjährigen Tochter nach Formia zu fahren, einer Küstenstadt 70 Kilometer nördlich, wo sie Angehörige haben. „Wir fühlten uns dort sicherer“, berichtet die Italienerin. Doch der Schreck sitzt tief: „Zum ersten Mal in unserem Leben denken wir daran, aus Pozzuoli wegzuziehen.“